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Ein Sonntag auf dem Antikmarkt: Wo die Zeit stillsteht

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Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das dichte Blätterdach der alten Kastanienbäume, während ich den Kopfsteinpflasterweg entlangschlenderte. Ein Hauch von Abenteuer lag in der Luft, vermischt mit dem Duft von frisch gebackenem Brot und süßem Gebäck aus der nahegelegenen Bäckerei. Vor mir erstreckte sich der Antikmarkt, ein buntes Labyrinth aus Ständen, überladen mit Schätzen vergangener Zeiten.

Ich ließ meinen Blick über die Auslagen schweifen, jeder Gegenstand schien eine Geschichte zu flüstern. Ein alter Grammophon, dessen Messingtrichter stumm in die Menge blickte, erzählte von rauschenden Festen und beschwingten Tanzabenden. Daneben lag ein verstaubter Reisekoffer, mit alten Aufklebern von exotischen Orten bedeckt, der von abenteuerlichen Expeditionen und fernen Ländern träumen ließ.

Ein Stand weiter zog mich ein Stapel vergilbter Bücher in seinen Bann. Ich strich über die ledergebundenen Einbände und spürte das Gewicht der darin enthaltenen Geschichten. Ein Buch mit dem Titel “Die Schatzinsel” weckte meine Neugier. Ich schlug es auf und verlor mich in den aufregenden Abenteuern von Jim Hawkins und Long John Silver.

Plötzlich hörte ich ein leises Ticken. Ich folgte dem Klang und entdeckte eine antike Taschenuhr, deren goldene Zeiger unermüdlich ihre Runden drehten. Ich stellte mir vor, wie sie einst einem Herrn von Welt gehört hatte, der sie sorgfältig aus seiner Westentasche zog, um die Zeit abzulesen.

Am Ende des Marktes entdeckte ich einen Stand mit funkelndem Silberbesteck. Die kunstvoll verzierten Löffel und Gabeln lagen in einem Samtkästchen, als wären sie gerade erst aus einer vergangenen Epoche aufgetaucht. Ich konnte fast das Klirren der Gläser und das gedämpfte Gemurmel der Gäste hören, die einst an einer festlich gedeckten Tafel Platz genommen hatten.

Mit einem Stapel Bücher und der Taschenuhr in der Hand verließ ich den Antikmarkt. Jeder Gegenstand war ein kleines Fenster in die Vergangenheit, ein Stück Geschichte, das darauf wartete, wieder zum Leben erweckt zu werden. Ich freute mich darauf, diese Schätze in mein Zuhause zu bringen und ihnen einen neuen Platz in meiner eigenen Geschichte zu geben.

Zuhause angekommen, breitete ich meine Fundstücke auf dem Küchentisch aus. Die Taschenuhr, ein goldenes Schmuckstück mit kunstvoll gravierten Verzierungen, lag neben dem abgenutzten Buch “Die Schatzinsel”. Ich öffnete den Deckel der Uhr und betrachtete das filigrane Uhrwerk, dessen winzige Zahnräder sich präzise ineinanderfügten. Eine kleine Inschrift auf der Innenseite verriet, dass die Uhr im Jahr 1889 in London gefertigt worden war. Ich stellte mir den ehemaligen Besitzer vor: einen Gentleman mit Zylinder und Gehstock, der in den Straßen Londons unterwegs war. Vielleicht war er ein Bankier, ein Händler oder ein Abenteurer wie die Figuren in meinem Buch?

Neugierig blätterte ich “Die Schatzinsel” durch. Die Seiten waren vergilbt und an den Rändern etwas ausgefranst, aber die Illustrationen von Piraten und Segelschiffen waren noch gut erhalten. Ich las die ersten Zeilen und tauchte ein in die Welt von Jim Hawkins, der auf der Suche nach dem Schatz von Käpt’n Flint war. Der Duft des alten Papiers und die knisternden Seiten verstärkten das Gefühl, in eine andere Zeit einzutauchen.

Am Abend zündete ich Kerzen an und setzte mich mit einer Tasse Tee an den Tisch. Die Taschenuhr lag neben mir und tickte leise vor sich hin, während ich in “Die Schatzinsel” las. Die Geräusche der Stadt verstummten, und ich fühlte mich, als wäre ich tatsächlich auf der Hispaniola, dem Schiff der Piraten, unterwegs. Der Antikmarkt hatte mir nicht nur Gegenstände, sondern auch ein Stück Geschichte und Abenteuer geschenkt. Von nun an würden mich die Taschenuhr und das Buch an diesen besonderen Sonntag erinnern, an dem die Zeit stillstand und ich in die Vergangenheit eintauchte.

In den folgenden Tagen trug ich die Taschenuhr überall mit mir herum. Ich spürte ihren sanften Druck in meiner Hosentasche und zog sie immer wieder hervor, um die Zeit abzulesen und das filigrane Uhrwerk zu bewundern. Sie wurde zu meinem Talisman, einem Begleiter, der mich mit der Vergangenheit verband und mich daran erinnerte, die kleinen Momente im Leben zu schätzen.

Eines Nachmittags saß ich in einem Café und las in “Die Schatzinsel”. Ein älterer Herr am Nebentisch bemerkte das Buch und sprach mich an. Er erzählte mir, dass er als Junge dieses Buch unzählige Male gelesen hatte und es seine Fantasie beflügelt hatte. Wir kamen ins Gespräch über Abenteuergeschichten, Piraten und ferne Länder. Er erzählte von seinen Reisen als Seemann und den exotischen Orten, die er besucht hatte. Zum Abschied schenkte er mir eine alte Seekarte, die er selbst vor vielen Jahren in einem Antiquitätenladen in Lissabon gekauft hatte.

Die Begegnung mit dem alten Seemann bestärkte mich in meinem Gefühl, dass die Gegenstände vom Antikmarkt mehr waren als nur alte Dinge. Sie waren Schlüssel zu Geschichten, zu Begegnungen und zu neuen Erfahrungen. Die Seekarte fand einen Ehrenplatz an meiner Wand, neben einem gerahmten Bild von einem Segelschiff. Sie erinnerte mich an das Gespräch mit dem Seemann und daran, dass das Leben voller Abenteuer ist, wenn man die Augen offen hält.

Die Taschenuhr und das Buch “Die Schatzinsel” hatten mein Leben bereichert. Sie hatten mir gezeigt, dass die Vergangenheit nicht einfach vergangen ist, sondern in den Dingen weiterlebt und darauf wartet, entdeckt zu werden. Und sie hatten mir die Freude am Sammeln von Antiquitäten vermittelt, die nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch Geschichten erzählen und die Fantasie beflügeln.
Inspiriert von meinen Erlebnissen beschloss ich, den Antikmarkt regelmäßig zu besuchen. Jeden Sonntagmorgen schlenderte ich nun über den Markt, stöberte in den Auslagen und ließ mich von den Geschichten der Gegenstände verzaubern. Ich lernte die Händler kennen, tauschte mich mit ihnen über ihre Schätze aus und entdeckte immer wieder neue Kostbarkeiten.

Einmal entdeckte ich an einem unscheinbaren Stand eine alte Holzkiste mit verschiedenen Fotografien. Die Bilder zeigten Menschen in altmodischer Kleidung, vergilbte Porträts von Familien, aufgenommen vor über hundert Jahren. Ich kaufte die Kiste und verbrachte den Abend damit, die Bilder zu betrachten und mir Geschichten über die Menschen auszudenken. Wer waren sie? Was hatten sie erlebt? Welche Träume und Hoffnungen hatten sie?

Ein anderes Mal fand ich eine wunderschöne Art Deco Brosche mit einem grünen Stein. Die Brosche erinnerte mich an meine Großmutter, die immer eleganten Schmuck trug. Ich stellte mir vor, wie sie die Brosche zu einem ihrer schicken Kleider getragen hatte und auf einem Ball getanzt hatte. Ich beschloss, die Brosche aufzubewahren und sie eines Tages meiner eigenen Tochter oder Enkelin zu schenken, damit sie die Geschichte weitertragen konnte.

Durch den Antikmarkt entdeckte ich eine neue Leidenschaft: das Sammeln von alten Gegenständen und das Erforschen ihrer Geschichte. Jedes Stück in meiner Sammlung erzählte eine Geschichte, verwob sich mit meiner eigenen und machte mein Zuhause zu einem persönlichen Museum voller Erinnerungen und lebendiger Vergangenheit. Der Antikmarkt war zu meinem Lieblingsort geworden, einem Ort der Entdeckungen, der Inspiration und der Zeitlosigkeit.

Der Beitrag Ein Sonntag auf dem Antikmarkt: Wo die Zeit stillsteht erschien zuerst auf www.prueschberg.de.


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